Chudoba (in etwa : Habseligkeiten) verkörpert die junge Folkgeneration in Polen. Das achtköpfige Ensemble hat auf der Suche nach den eigenen Wurzeln ein neues Selbstbewusstsein gewonnen und die Traditionen behutsam für das 21. Jahrhundert aufpoliert.
Chudoba wurde 1993 von Studenten an der Breslauer Universität gegründet. Die Band sammelt Songs aus den polnischen Bergen, aus Bulgarien, Serbien, der Ukraine und insbesondere aus der lemkischen Region im Südosten Polens und arrangiert sie in einer mitreissenden, zeitgemässen Art und Weise. Auch die Musik der Roma und Sinti hat sie in ihr Programm aufgenommen, das sie europaweit auf Konzerten und Festivals (z.B. in Deutschland auf dem Nürnberger Bardentreffen, in Österreich auf dem Gutenbrunn Festival oder in Belgien auf dem Dranouter Festival) präsentiert. Chudoba verwendet dabei aussschliesslich akustische Instrumente wie Akkordeon, Flöte, Mandoline, Maultrommel und Gitarre.
Zwei Tonträger hat Chudoba bisher in Polen herausgebracht: Gray Muzyka (Spiel' die Musik) and Nasza Polka (Unsere Polka). Die erste Veröffentlichung für den internationalen Markt versammelt ihre besten Polkas, Hochzeits-, Liebes- und Schlaflieder. Seit Anfang 2002 bastelt die Band in leicht veränderter Besetzung an einer neuen CD. Wir dürfen gespannt sein. Krzysztof Opalski verliess die Band 2000 und gründete BURAKY.
Polkas, Lullabies & Wedding Songs WW 202-2
Besetzung: Magorzata Kunert: Violine, Gesang Sylwia Swisocka-Karwol: Gesang, Perkussion Hubert Babiarz: Gesang, Mandoline, klassische Gitarre, Flöte, Kontrabass Piotr Kowalski: Trommel, Zimbel, Perkussion, Kontrabass, Maultrommel, Gesang Robert Ruszczak: Gesang, Flöte, Mandoline, Trommel Jacek Ryszewski: Kontrabass, klassische Gitarre, Violine, Gesang Katarzyna Ryszewska: Gesang, Perkussion Krzysztof Opalski: Akustische Gitarre, Trommeln, Kazoo, Mundharmonika, Gesang |
Steffen Franzen schreibt in Blue Rhythm, Herbst 2000:
Im schwirrenden Getriebe der Weltmusik-Industrie haben wir es vielleicht schon verlernt, auch mal wieder ein schlichtes Folkalbum ohne Produktions-Schnickschnack durchzuhören. Neun Musiker aus Breslau bringen uns auf die Fährte rein akustischen Genusses zurück. Auf WeltWunder's Länder-Sampler "Travellin Companion to Poland" schon mit einem Track zum Antesten vertreten, erweist sich Chudoba als variationsreicher Zickzack-Kurs nicht nur durch Polen. Man macht Station sowohl in der Tschechischen Republik als auch in Serbien oder der Ukraine, kehr aber immer wieder gerne ins gebirgige Südost-Polen zurück. Munter trillernde Flöte, melancholische Geige und quirliges Akkordeon, neckische Maultrommel und sparsam platzierte Mandolinen- und Hackbrettbegleitung sind das Grundvokabular, über dem Gesänge von Liebe, Hochzeit und Arbeit walten. Ungerade Balkanmetrik ist eher die Ausnahme, vorwärts treibende Polka-Rhythmus im Vordergrund, der in dezenten Varianten (z.b. mit Swing-Anteilen) verfeinert wird. Chudoba sind keinesfalls nur Lückenbüsser in der nicht gerade vielköpfigen polnischen Folkfamilie, sondern seit den Karpaten-Klängen der Trebunia-Familie die vitalisierendste Spritze von unserem östlichen Nachbarn.
Jürgen Brehme schreibt im Folker 5/2000:
Noch unter dem Eindruck der Gruppe auf dem Strassenmusikfestival in Leipzig habe ich diese funkelnagelneue CD vor allem im Vergleich zum Live-Eindruck gehört. Chudoba bewegen sich auf dem Boden ihrer polnischen Tradition, beschäftigen sich mit Melodien und Tänzen, die sie aus der eigenen Familie oder von ihren Reisen kennen. Das geschieht mit guter musikalischer Fertigkeit und - wichtig in Osteuropa - prägnanter Gesangstechnik, live und auf CD. Trotz ihrer Orientierung auf polnische Musik streifen sie auch in der weiteren, musikalisch passenden Umgebung herum, bis hin nach Bulgarien und in die Ukraine. In Polen können Chudoba schon auf zwei CD-Veröffentlichungen blicken, mit dieser Zusammenfassung versuchen sie nun, Aufmerksamkeit auch in Deutschland zu wecken. Chudoba gelingt es, sich von altgestandener Folklore abzuheben, wie sie in Polen noch reichlich 'gepflegt' wird, ohne dass sie Anleihen bei z.B. irischer Musik nehmen oder in Richtung Folkrock gehen. Sie bleiben der Tradition verpflichtet, weckten dabei mein Interesse durch frische, unbeschwert wirkende Spielweise und jugendlichen Schwung. Chudoba scheint mir ein guter Griff, um deutschen Musikinteressierten die traditionelle Musik des Nachbarlandes näherzubringen.
Interview
mit Krzysztof Opalski, dem früheren Leiter der Band
Es gibt ja verschiedene Gegenden
und musikalischen Stile in Polen. Wie kann man euren Folk-Stil
bezeichnen ?
Wir spielen slawische Folkmusik, und die kommt nicht nur aus Polen.
Der Schwerpunkt liegt allerdings auf Polen. Wir haben viele verschiedene
Regionen und jede Region hat ihren eigenen Stil . Ein weiterer
Schwerpunkt sind die slawischen Völker, die zum Teil aber
auch in Polen leben, z.B. das Lemki-Volk, daneben Musik aus der
Ukraine und der Slowakei. Manchmal spielen wir auch die Musik
vom Balkan, denn unser Kontrabasspieler liebt diese Musik. Wir
sammeln diese Lieder, z.B. aus dem Archiv des polnischen Rundfunks
in Warschau oder aus der Ukraine und machen unsere eigenen Arrangements.
Zeitmangel ist der Grund, warum wir diese Spurensuche nicht noch
ausweiten.
Was sind eure sonstigen Einflüsse
?
Ich selber bin stark von Fairport Convention aus England beeinflusst,
was Polen betrifft auch vom St. Nicholas Orchestra. Mit denen
haben wir gemeinsam, dass wir versuchen, die Tradition ein bisschen
anders, moderner zu interpretieren.
Gibt es eine Folkmusikbewegung
in Polen ?
Ja , momentan steigt gerade unter jungen Leuten das Interesse
am Folk. Seit 1999 gibt es eine ganze Welle neuer Folkbands, die
nach den Wurzeln suchen und altn Songs neu arrangieren, z.B. das
Golec Orchestra oder Brathanki. Sie mixen sehr geschickt Rock,
Pop und Folk. Sie haben ein grosses Publikum gefunden, auch bei
den CD-Käufern.
Was bedeutet "Chudoba"
?
Sogar in Polen fragen uns die Leute, was Chudoba heisst. Es ist
ein sehr altes Wort. Es gibt verschiedene Bedeutungen. Generell
heisst es "Habseligkeiten" - geringe Besitztümer,
bezogen auf das, was der Bauer besitzt. Es bedeutet aber auch
'Vieh'. Es ist ein altmodisches Wort, das kaum noch jemand benutzt.
Es symbolisiert unsere Verbindung zur ländlichen Bevölkerung.
Wovon handeln die Texte ?
Unsere Lieder sind ja traditionell, sie handeln von einfachen
Dingen. Über Liebe, Gefühle, Natur. Die Texte der aktuellen
Popbands sind oft verrückt, aber Folkmusik versetzt dich
immer in eine gute Stimmung, weil sie eine einfache Sprache spricht
und meist von glücklichen Gefühlen handelt.
Habt ihr eine 'Botschaft'
?
Unsere Botschaft ist: Mehr Folkmusik in die Radiostationen ! Mehr
Folk aus allen Ländern, denn alle Länder haben reiche
Traditionen. Ich habe Platten aus vielen Ländern und sammle
Folk seit 10 Jahren. Unglücklicherweise spielen die Radiostationen
überall die gleiche Popmusik, und die hat keine gute Qualität,
leider. Wir könnten uns näher kennenlernen durch unsere
Traditionen.